Vera by Iwan Bunin
Autor:Iwan Bunin [Bunin, Iwan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Dörlemann Verlag AG, Zürich
veröffentlicht: 2015-07-28T16:00:00+00:00
Ein Verbrechen
In unserer Gegend gibt es einen ziemlich großen Wald, der »die Inseln« genannt wird. Folgendes hat sich darin vor einigen Jahren in den Rauhnächten zwischen Weihnachten und dem Dreikönigsfest zugetragen, als ein gewisser Jermil dort Waldhüter war, ein kleingewachsener, kurzbeiniger, runzeliger Bauer mit dem seltsamen Spitznamen »der Winterliche«.
Der Wald liegt nicht weit entfernt vom Dorf. An grauen Tagen, wenn es keinen Schneesturm und kein Schneetreiben gibt, kann man ihn von den Dreschtennen aus sehen: Fahlgrau schimmern die Felder, der niedrige Himmel neigt sich zum Horizont, über dem Horizont hängt ein düsterer Nebelstreifen, und darunter erstreckt sich der bläuliche Streifen des Waldes. Doch der Waldstreifen wirkt weit entfernt – wie alles im Winter. Würde man sich dort niederlassen, zwischen diesen von Waldinseln umgebenen Wolfsschluchten und Hasenfurchen, in der alten Hütte inmitten der roten jungen Eichen und der Büsche, die aus den weißen, flaumigen Schneewehen aufragen, dann käme man sich, weil man es nicht gewohnt ist, vor wie hundert Werst weit weg von den Menschen. Und Jermil war den Wald nicht gewohnt: Er hatte sich immer in den Dörfern verdingt, viele Jahre lang im Pumpenhaus an der Bahnstation gearbeitet und in der Brennerei am Tresterbottich gestanden; eine Familie hatte er nicht.
Wie so viele, die nie etwas Gutes erfahren haben – weder von Gott noch von einem Vorgesetzten oder einem Bruder –, hatte er schon lange davon geträumt, sich von den Menschen möglichst fernzuhalten. Sie mochten ihn nicht, und er ging ihnen aus dem Wege. Sie malträtierten ihn, weil sie ihn für einen gutmütigen Narren hielten. Er aber blieb stumm und tröstete sich in dem grimmigen Bewußtsein, daß er längst nicht so einfältig war, wie sie dachten. Er redete sich ein, alle seien ihm übel gesonnen, hatte stets die Mütze tief ins Gesicht gezogen, blickte niemandem in die Augen, war aber immer auf der Hut. Als er in den Wald zog, der ihm so weit entfernt schien, spekulierte er darauf, wenigstens einen Winter lang seine Ruhe zu haben.
Er war, wie die meisten Bauern, ängstlich. Eines Tages aber war er, um eine Wette zu gewinnen, um Mitternacht ins Darrhaus gegangen und hatte sich vergewissert, daß ihm das alles nichts ausmachte. Also war er voller Zuversicht zur düstersten Herbstzeit in den Wald gezogen. Doch es zeigte sich, daß er sich nicht hatte vorstellen können, wie unheimlich das Waldleben war. Wie bedrohlich der unsichtbare Wald in jenen schwarzen, undurchdringlichen Nächten rauschte, wenn die Novemberregen fielen, ohne Unterlaß in Strömen niedergingen, wenn man sich, wie man so sagt, die Seele aus dem Leib schreien konnte und einen doch keine Seele hörte, wenn auf den Feldern nichts als Wind war, schwarzes Ackerland, verlassene Wege und in bleiernem Schlaf dahindämmernde Dörfer! Er wähnte sich in einem unüberschaubaren Meer von Finsternis, er schlief zu seinem Leidwesen zwar fest, aber unruhig, bei einem Kienspan, und erwachte häufig. Bisweilen stellte er sich vor: Wenn ich einen Knüppel in der Hand habe und in dunklen Nächten durch den Wald laufe – dann soll mir mal ein Dieb oder ein Plünderer in die Quere kommen! Doch wie sich zeigte, setzte man in solchen Nächten keinen Fuß vor die Tür.
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